Verbundthema – Inhaltliche Ausrichtung des RFB
Rehabilitationsverständnis
Das dem rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbundes Bayern zugrunde liegende Rehabilitationsverständnis lässt sich mit drei Konzepten "Merkmale chronischer Krankheiten", "Bio-psycho-sozialer-Ansatz" und "Bewältigung chronischer Krankheiten" näher beschreiben.
Merkmale chronischer Krankheiten
Die zunehmende Häufigkeit chronischer Erkrankungen mit ihren spezifischen Merkmalen (multifaktorielle, oft verhaltensabhängige Ätiologie; vollständige Heilung oder Wiederherstellung nicht möglich; langfristige, oft progrediente Verläufe) stellt neue Anforderungen an die Rehabilitation. Für die Betroffenen bringen chronische Krankheiten eine Vielzahl von Folgeerscheinungen mit sich, die alle Lebensbereiche umfassen können: akute und chronische körperliche Schädigungen; Verlust der körperlichen Integrität; Abhängigkeit von fortgesetzter medizinischer Behandlung; wiederholte Hospitalisierungen; emotionale Belastungen; Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls; mehr oder minder irreversible Funktionsstörungen; Einschränkung der Aktivitäten im Alltag; Verminderung der Leistungsfähigkeit; berufliche und soziale Beeinträchtigungen. Die Integrität des Patienten kann auf körperlicher, funktioneller und psychosozialer Ebene beeinträchtigt sein.
Bio-psycho-sozialer Ansatz
Dem Sachverhalt, dass chronische Krankheiten körperliche, funktionelle, psychische und soziale Auswirkungen haben, wird deshalb am ehesten ein bio-psycho-sozialer Ansatz in der medizinischen Rehabilitation gerecht. Die Behandlung psychischer und sozialer Folgeerscheinungen chronischer Krankheiten ist ebenso zentrale Aufgabe der Rehabilitationsmedizin wie die Behandlung unmittelbarer körperlicher Schädigungen.
Bewältigung chronischer Krankheiten
Chronische Krankheiten und ihre spezifischen Merkmale erfordern eine langfristige Anpassung des Individuums an einen dauerhaft veränderten Zustand. Ein zentrales Ziel der Rehabilitation ist es, Menschen mit chronischen Krankheiten dazu zu verhelfen, die Krankheit und ihre Folgen zu bewältigen, um möglichst weitgehend und selbständig am normalen Leben in Familie, Beruf und Gesellschaft teilnehmen zu können (Teilhabe im Sinne des SGB IX). Rehabilitation wird somit als Hilfe zur Bewältigung einer Erkrankung verstanden.
Rehabilitation stellt in dieser Hinsicht Hilfe zur Selbsthilfe dar. An den Patienten wird die Forderung gestellt, adäquate Bewältigungsstrategien zu erlernen, Risikoverhaltensweisen abzustellen und ggf. seinen Lebensstil zu verändern. Die Rehabilitation ist insofern auf die eigenverantwortliche Mitarbeit des Rehabilitanden angewiesen und muss diese stärken.
Verbundthema: Patienten in der Rehabilitation
Die Auswahl des Themenbereichs
„Patienten in der Rehabilitation: Störungsspezifische und -übergreifende Ansätze zu Fragen der Motivation, Krankheitsbewältigung, Intervention und Evaluation“
bringt das Rehabilitationsverständnis des Rehabilitationswissenschaftlichen Forschungsverbunds Bayern zum Ausdruck: Rehabilitation soll vom Patienten aus konzipiert werden. Der Patient, seine Funktionsfähigkeit im Alltag, seine berufliche Leistungsfähigkeit (Rückkehr ins Erwerbsleben) und seine Lebensqualität stehen im Mittelpunkt aller rehabilitativen Bemühungen, die von diesem Gesichtspunkt aus ihren Sinn erhalten. Rehabilitation vom Patienten aus zu denken, heißt, die an den einzelnen Disziplinen der Rehabilitation orientierten Zugänge und Ansatzpunkte zu integrieren. Nur ein interdisziplinärer, den Patienten und seine Erfordernisse und Ziele in den Mittelpunkt rückender Ansatz erscheint geeignet, die praktischen und wissenschaftlichen Grundlagen für eine effektive Rehabilitation zu schaffen. Erst diese Perspektive, d.h. eine umfassende, ganzheitliche Herangehensweise, ist in der Lage, den Stellenwert der Beiträge der einzelnen rehabilitativen Disziplinen zu integrieren und zu gewichten.
Inhaltliche Gliederung in Projektbereiche
Die skizzierte rehabilitationswissenschaftliche Konzeption resultiert in einer patientenzentrierten Ausrichtung der Forschungsfragestellungen. Diese sind durch klinische Nähe, Orientierung an der Arzt-Patient-Beziehung und der Mitarbeit des Patienten in der Rehabilitationsbehandlung orientiert. Das aus den aufgeführten Überlegungen abgeleitete Rahmenthema des Verbunds wurde in drei Projektbereiche gegliedert, die im folgenden näher beschrieben werden.
Bereich A: Diagnostik- und Prädiktorstudien (Leiter: Hermann Faller)
Forschung zur Krankheitsbewältigung befasst sich mit dem Umgang des Patienten mit krankheitsabhängigen Belastungen und Einschränkungen. Sie untersucht die individuellen und sozialen Ressourcen und Defizite der Betroffenen (einschließlich der sozialen Unterstützung) und analysiert die Strategien, die diese zur Anpassung an die Erkrankung und ihre Folgen entwickeln. Zur verbesserten individuellen Diagnostik und Behandlung ist die systematische Erfassung von Ressourcen und Defiziten der Rehabilitanden von zentraler Bedeutung. Dies ist Schwerpunkt des Projektbereichs "Diagnostik und Prädiktorstudien".
Bereich B: Intervention und Evaluation (Leiter: Heiner Ellgring)
In den Verbund einbezogen sind darüber hinaus Aspekte des Themenbereichs "Evaluation von Therapieprogrammen". Die zu evaluierenden Interventionen haben das Ziel, die Bewältigungskompetenz des Rehabilitanden zu stärken; sie setzen an seinen motivationalen, kognitiven und behavioralen Ressourcen an und sind auf eine Verbesserung seines Wissens und Gesundheitsverhaltens gerichtet. Originäre Bereiche, die ein wichtiges Forschungs- und Entwicklungsfeld in der Rehabilitation darstellen, sind deshalb die Gesundheitsbildung und Patientenschulung. Hier geht es neben der Entwicklung angemessener Einstellungen des Rehabilitanden zur Rehabilitation und der Klärung und ggf. Veränderung dysfunktionaler Erwartungen an die Behandlung ganz wesentlich auch um die Vermittlung der erforderlichen Kompetenzen zur Bewältigung der Erkrankung und zur Durchführung notwendiger Selbstbehandlungsschritte. Weitere Aufgaben der Gesundheitsbildung wie die Veränderung von Risikofaktoren und die Vermittlung eines gesundheitsförderlichen Lebensstils sind hier ebenfalls einzubeziehen.
Die im Verbund enthaltenen Interventionsstudien evaluieren deshalb neu entwickelte bzw. adaptierte Schulungskonzepte bei ausgewählten rehabilitationsrelevanten Indikationen (chronischer Rückenschmerz, chronisch obstruktive Bronchitis, funktionelle Störungen, chronische Nierenerkrankungen). Eine Leitlinie hierbei war es, strukturierte Interventionsmaßnahmen bzw. -konzepte zu entwickeln, die nach Auslaufen des Förderschwerpunkts in den Routineeinsatz von Rehabilitationseinrichtungen übernommen werden können. Wichtigste Zielgröße ist dabei die Rückkehr zur Arbeit. Die geplanten Interventionsstudien realisieren ein kontrolliertes und, wo immer möglich und vertretbar, randomisiertes Design. Geschlechtsspezifische und gesundheitsökonomische Effekte werden überprüft.
Bereich C: Schnittstellenprobleme der rehabilitativen Versorgung (Leiter: Gerold Stucki)
In jüngster Zeit wird die Schnittstellenthematik als zentrales Problem der Rehabilitation diskutiert. Zur umfassenden Rehabilitationsplanung gehört die rationale Zugangssteuerung, um sicherzustellen, dass Reha-Maßnahmen gemäß der individuellen Bedürftigkeit ausgewählt werden. Hier ist u.a. an innovative Konzepte der Zuweisungssteuerung zu denken. Die genannten Abläufe können nur in enger Kooperation mit den Rentenversicherungsträgern untersucht und optimiert werden. In diesem Kontext sind andererseits auch Interventionen anzusiedeln, die die Stabilität von in der Rehabilitation erzielten Effekten - über die Zeit nach der intensiven Rehabilitation hinaus - in nachhaltiger Weise fördern. Hier sind vorbereitende Maßnahmen, die den (Wieder-) Einstieg in den beruflichen und sozialen Alltag nach der Rehabilitation erleichtern sollen, einzuordnen.